"Deutschland betrachte ich als meine zweite Heimat"
Interview mit dem Botschafter des Königreichs Saudi-Arabien, S.E. Prof. Dr. med. Ossama bin Abdul Majed Shobokshi
Nicht nur ist Saudi-Arabien Deutschlands wichtigster Öl-Importeur. Das Land bietet für die nächsten eineinhalb Jahrzehnte Investitionsmöglichkeiten von mehr als 600 Mrd. US Dollar. Durch hochrangige Besuche der letzten Zeit wurden die engen Beziehungen zwischen dem Wüstenstaat und Deutschland dokumentiert, jüngst durch den Besuch des saudischen Königs Abdullah ibn Abdelaziz Al Sa‘ud Anfang November in Berlin. ARAB FORUM sprach mit Prof. Dr. med. Ossama bin Abdul Majed Shobokshi, dem saudi-arabischen Botschafter und einem profunden Deutschland-Kenner, über den Besuch Königs Abdullahs in Berlin, über Wandel
und Wirtschaftspotenzial Saudi-Arabiens und über sein ganz persönliches Verhältnis zu Deutschland.
ARAB FORUM: Exzellenz, Anfang November war S. Kgl. Hoheit, König Abdullah ibn Abdelaziz Al Sa‘ud in Deutschland auf Staatsbesuch. Welche Erwartungen waren mit diesem Besuch verbunden?
Prof. Dr. med. Shobokshi: Seine Majestät, der Hüter beider Heiligen Stätten, König Abdullah ibn Abdelaziz Al Sa‘ud, war vom 7. bis zum 9. November in Berlin. Dies war sein erster Besuch in Deutschland als König, nachdem er im Jahre 2001 als Kronprinz zu Besuch gekommen war. Wir freuen uns, dass ein intensives diplomatisches Gespräch zwischen Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Seiner Majestät, um die Koordinierung der Standpunkte in Bezug auf verschiedene Konflikte in der Welt stattgefunden hat. Wie ich aus dem Außenministerium in Deutschland verstanden hatte, möchten sie gerne die Meinung, die Position und die Analyse der saudischen Regierung zu den Gesichtspunkten an bestimmten Problemen im Nahen Osten, exemplarisch die Stellung zu Iran, zu Libanon, zu Palästina, zu Irak erfahren. Das sind Brennpunkte, die die deutsche Politik interessieren, und sie möchten dies gerne mit der saudischen Regierung koordinieren, die Analyse und den Standpunkt der Regierung Saudi-Arabiens hierzu kennen lernen.
ARAB FORUM: Der Besuch Ihres Königs in Deutschland, die Visite der Bundeskanzlerin Anfang Februar 2007 und bereits zwei Besuche Bundeskanzler Schröders in Saudi-Arabien dokumentieren die guten Beziehungen zwischen Ihrem Land und Deutschland. In welchen Bereichen sind diese Beziehungen besonders gut und wo könnten sie noch weiter ausgebaut werden?
Prof. Dr. med. Shobokshi: Gott sei Dank sind die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Deutschland sehr gut. Sie gründen hauptsächlich auf der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Ebene. Sie sind in fast allen Punkten übereinstimmend, besonders was die Politik angeht. In den meisten Fragen findet eine Koordinierung mit Bundesaußenminister Dr. Steinmeier und dem saudischen Außenminister S.K.H Prinz Saud al-Feisal sowie der Bundeskanzlerin und dem König statt, so wie dies und auch mit dem ehemaligen Bundeskanzler geschehen war. Oft gibt es eine Koordinierung der politischen Standpunkte.
ARAB FORUM: Erwarten Sie, dass die Bundeskanzlerin in absehbarer Zeit wieder nach Saudi-Arabien reisen wird?
Prof. Dr. med. Shobokshi: Die Bundeskanzlerin ist immer herzlich willkommen in Saudi-Arabien. Wir würden uns freuen, wenn sich die Gelegenheit ergeben wird. Wir hoffen auch, dass der Bundespräsident Saudi-Arabien 2008 besuchen wird. Wir heißen alle Würdenträger Deutschlands in Saudi-Arabien sehr willkommen.
ARAB FORUM: Zweifellos sind die wirtschaftlichen Beziehungen mit Deutschland als dem zweitwichtigsten Importeur sehr eng. Etwa 220 deutsche Firmen sind in Saudi-Arabien vertreten. Wo steckt weiteres Potenzial?
Prof. Dr. med. Shobokshi: Deutschland ist das drittwichtigste Importland Saudi-Arabiens. Saudi-Arabien steht in Deutschland als Importland an 48. Stelle. Der Außenhandel umfasst für beide Länder 6,7 Mrd. Euro. Saudi-Arabiens Importe umfassen 4,6 Mrd. Euro, Deutschland importiert für 1,5 Mrd. Euro aus Saudi-Arabien, hauptsächlich Öl. Wir hoffen sehr, dass deutsche Firmen mit ihrem Know-how und ihrer Technologie in Saudi-Arabien gute Adressen werden können. Es gibt sehr große Expansionsmöglichkeiten. Saudi-Arabien baut zur Zeit sechs Economic Cities. Zum Glück sind schon einige deutsche Firmen daran beteiligt. Saudi-Arabien baut ein Eisenbahnnetz in Ost-West und Nord-Süd-Richtung. Auch daran sind schon einige deutsche Firmen beteiligt. Wir hoffen sehr, dass mehr deutsche Firmen in Saudi-Arabien vertreten sein werden
ARAB FORUM: Saudi-Arabien investiert viel in den weiteren Ausbau der Infrastruktur. Welche Projekte sind hierbei besonders vordringlich und wichtig? Sie nannten schon die Eisenbahn.
Prof. Dr. med. Shobokshi: Für die Modernisierung der Infrastruktur werden Straßen gebaut, Eisenbahnnetze werden gebaut mit insgesamt 3.650 km von Ost nach West sowie von Norden von den Industriestädten Saudi-Arabiens nach Süden, Osten und Westen zu den Häfen. Gleichzeitig werden Phosphat- Aluminium- und Eisenerzminen gebaut, im Norden wie im Süden. Wir hoffen, damit Millionen neuer Arbeitsplätze zu schaffen und gleichzeitig eine Dezentralisierung zu erreichen. Wir sprechen von 640 Mrd. US Dollar, die in den nächsten fünfzehn Jahren in Saudi-Arabien ausgegeben werden, um die Infrastruktur und die Economic
Cities zu bauen bzw. auszubauen.
ARAB FORUM: Saudi-Arabien ist als Land der Heiligen Stätten des Islam ein Zentrum des Pilgertourismus mit mehr als 12 Mio. Besuchern jährlich. Welcher andere Tourismus ist für das Land außerdem interessant und wichtig?
Prof. Dr. med. Shobokshi: Allein drei Millionen Pilger kommen zur Haddsch-Periode sowie etwa neuen Millionen während des übrigen Jahres, um die religiösen Stätten zu besuchen. Daneben gibt es wunderbare Strände in Saudi-Arabien. Es gibt schöne Berge und Täler, die man kaum kennt und die attraktiv sind. Aus Deutschland besuchen uns viele Tauchgruppen am Roten Meer. Es gibt Leute, die sich für archäologische Funde wie z. B. Mada‘in Saleh, Masmak oder Daria interessieren. Es gibt viele Möglichkeiten, in Saudi-Arabien Urlaub zu machen.
ARAB FORUM: Der König hat Justizreformen in die Hand genommen. Was sind die Ziele?
Prof. Dr. med. Shobokshi: Es geht darum, eine Erleichterung und Modernisierung der juristischen Regeln für einheimische sowie ausländische Einwohner des Landes
zu erzielen, damit ihre Rechte geschützt werden können. Saudi-Arabien befindet sich in einer ständigen Modernisierung.
ARAB FORUM: Saudi-Arabien beschäftigt 6,1 Mio. ausländische Arbeitskräfte. Um mehr eigenen Staatsbürgern Arbeitsplätze zu verschaffen, ist das Programm der „Saudiisierung“ in Kraft gesetzt worden. Wie ist hier der Stand?
Prof. Dr. med. Shobokshi: Saudi-Arabien hat 23 Millionen Einwohner. Davon sind 50% unter 20 Jahre. Wir sind ein junges Volk. Aufgrund dessen gibt es ein Saudiisierungsprogramm, um Arbeitsplätze für die jungen Saudis zu finden. Im Rahmen neuer Projekte werden 2,3 bis 2,5 Mio. Arbeitsplätze geschaffen. Neue Techniken erlauben, die 6,1 Mio. Gäste, die bei uns arbeiten, teilweise und graduell zu ersetzen und neue Arbeitsplätze zu schaffen, um die Saudiiesierung voranzubringen. Zur Zeit liegt die Arbeitslosenquote bei 5,7 %.
ARAB FORUM: Welche Berufsfelder stehen dabei für Frauen offen?
Prof. Dr. med. Shobokshi: Alle, außer solchen natürlich, die mit körperlichen Tätigkeiten verbunden sind. Angefangen von Lehrerinnen, Ärzten, Schwestern, Pflegerinnen, technischen Assistenzen, wissenschaftlichen Berufen an Universitäten bis hin zu Dekaninnen und Fakultätsdirektorinnen stehen Frauen alle Tätigkeiten offen.
ARAB FORUM: Es ist ein steigendes Interesse am Studienstandort Deutschland und der Zahl der Stipendiaten aus Saudi-Arabien zu verzeichnen. In welchen Studiendisziplinen kann Deutschland am meisten anbieten und wo sind noch Lücken zu schließen?
Prof. Dr. med. Shobokshi: Ich selbst bin ein Produkt der Stipendien aus Saudi-Arabien nach Deutschland. Es gibt das King-Abdullah-Stipendien-Programm, womit junge Frauen und Männer ins Ausland geschickt werden, um ihre Ausbildung zu vervollständigen, sei es die Universitätsausbildung, seien es Post Graduate Studies oder Studien mit den Abschlüssen des Master Degree oder Phd. Degree. Zur Zeit studieren in den USA über 15.000 Studenten aus Saudi-Arabien, in Kanada etwa 7.000, in England etwa 1.000, in Deutschland nur 250. Wir bemühen uns, diese Zahl auf 1.500 zu erhöhen unter der Bedingung, dass unsere Studenten gleichberechtigt alle Fächer studieren können wie deutsche Studenten.
ARAB FORUM: An welche Studienfächer ist hauptsächlich gedacht?
Prof. Dr. med. Shobokshi: Hauptsächlich interessant sind technische Studien, Ingenieur- und Computerwissenschaften, Fächer der Hochtechnologie sowie Medizin.
ARAB FORUM: Sie selbst können gewissermaßen als Vorbild für eine Ausbildung in Deutschland dienen. Sie haben in Erlangen Medizin studiert und promoviert und in Leonberg Ihre internistische Facharztausbildung
absolviert. Mit welchen Erwartungen und Erinnerungen sind Sie nach Deutschland zurückgekehrt?
Prof. Dr. med. Shobokshi: Meine Regierung ist sehr daran interessiert, gute Verbindungen mit Deutschland zu erzielen. Die Tatsache, dass ich hier studiert habe und Deutschland als meine zweite Heimat betrachte, dient den Interessen beider Länder. Ich befinde mich in einer glücklichen Lage, dass ich hier studiert und meine Jugend hier verbracht habe. Jetzt komme ich als relativ älterer Mann zurück, um beiden Ländern zu dienen, Saudi-Arabien wie auch der Bundesrepublik Deutschland. Ich hoffe sehr, dass ich Brücken der Verständigung zwischen beiden Nationen bilden kann, weil im Grunde genommen beide Länder ähnlich sind und gute freundschaftliche Beziehungen haben. Auch hoffe ich sehr, dass mehr saudische Studenten in Deutschland studieren können, damit sie hier Botschafter ihres Landes sind und wenn sie nach Saudi-Arabien zurückkehren, Botschafter für die Deutschen sein können.
ARAB FORUM: Es mag Zufall sein: In Kürze werden Sie die neue Botschaft Saudi-Arabiens im Land Ihres Studiums eröffnen können. Wann wird es soweit sein und welche persönlichen Empfindungen begleiten Sie dabei?
Prof. Dr. med. Shobokshi: Es ist kein Zufall, es ist eine Ehre für mich, dass ich dabei bin, die saudi-arabische Botschaft zu bauen. Ich hoffe sehr, dass wir sie im Frühjahr 2008 eröffnen können und hohe Würdenträger als Gäste haben werden.