Kamaran: Jemenitische Insel im Roten Meer
Paradiesischer Geheimtip
Mittwoch, den 17. November 2010

Wer eine Insel sucht, die noch nicht von Zivilisationslärm jeglicher Art geprägt ist und ohne alle üblichen Unterhaltungsprogramme wie Animation, Nachtleben, Jetskifahren etc. auskommt, der ist hier richtig.
Auf dieser größten jemenitischen Koralleninsel im Roten Meer (108 qkm groß, 18 km lang und 7 km breit) gibt es nur Natur, Ruhe, zwei Dörfer, drei Pick-ups, einige Mopeds und das beschauliche Leben der einheimischen Fischer. Das größte Interesse wecken Sonne, Mond, Sterne, Witterung und Gezeiten. Die Reise auf die Insel will geplant sein; denn es gibt nur ein Camp, das Two Moons Tourism Resort, für das die rechtzeitige Anmeldung unerlässlich ist - z. B. wegen der entsprechenden Genehmigungen, die man an den Polizeiposten auf der Anfahrt (am besten von Hodeidah) vorzeigen muss (dienen der Sicherheit) und wegen der Organisation des 30-minütigen Bootstransfers von Al Saleef zur Insel. Alle Formalitäten erledigen die Campbesitzer, ein deutsch-jemenitisches Ehepaar. Das Camp besteht aus Hütten im Tihama-Stil, einem großen Steinbau mit Restaurant, Küche und Aufenthaltsraum. Es gibt eine Tauchstation mit Padi-Tauchschule.

Die Insel ist seit Jahrhunderten bewohnt, wie eine beeindruckende Festung aus der Zeit der Perser zeigt, die 620 die Insel eroberten. 1513 eroberten die Portugiesen die Insel, 1515 die Osmanen. 1517 kamen die Portugiesen zurück und errichteten hier eine Station in der von ihnen renovierten persischen Festung. Die Briten eroberten Kamaran zum ersten Mal 1867, 15 Jahre später kamen die Osmanen zurück und errichteten eine Quarantänestation für Mekka-Pilger aus Indien, Ostasien und Ostafrika. Das Tor zu dieser Quarantänestation steht noch als Ruine. Während des ersten Weltkriegs kamen 1915 britische Truppen aus Aden – eine Besetzung wurde nie formal erklärt. Obwohl die Briten 1949 den Gouverneur aus Aden auch zum Gouverneur für Kamaran ernannten, gehörte die Insel offiziell nie zur Kolonie Aden. Das hinderte Königin Elizabeth II. jedoch nicht, der Insel in den 1950er Jahren von Aden aus einen Besuch abzustatten. Bei diesem Besuch bewohnte sie eines der Gebäude, die vom Hafen aus zu sehen, aber wegen heutiger militärischer Nutzung nicht zugänglich sind.
Zur Zeit der Briten gab es ca. 20.000 Gazellen auf der Insel, die jedoch durch Jagd ausgerottet wurden. Nach der Unabhängigkeit von den Briten gehörte Kamaran ab 1967 zuerst zum Südjemen, dann ab 1972 zum Nordjemen und ab 1990 zur Republik Jemen, deren Bestehen sich am 22. Mai 2010 nach der Wiedervereinigung zwischen dem Nord- und Südjemen zum 20. Mal jährte. Eine fünf Meter hohe Holztafel mit verblasster Schrift ist als Dekorationsobjekt im Restaurant des Camps untergebracht. Viele Jahre begrüßte sie am kleinen, von den Engländern gebauten Flughafen Fluggäste, die mit Dakota-Propellermaschinen aus Asmara, Port Sudan, Khartum, Jeddah, Kairo, Aden, Assab, Djibouti, Karachi und Bombay kamen, wie die Tafel auflistet. Das Flughafengebäude ist noch als Ruine erhalten. In den 1950er Jahren lebten etwa 14.000 Einwohner auf der Insel, für die es genug Wasser aus Brunnen gab, heute sind es weniger als 4.000, und die Brunnen reichen nicht mehr aus, so dass das Trinkwasser vom Festland gebracht werden muss.

Straßen gibt es auf Kamaran nicht, der Korallenuntergrund sorgt für eine gute Piste, auch als Landebahn für kleine Flugzeuge geeignet. Verkehrsstaus sind unbekannt, denn auf der Insel fahren lediglich drei Pick-ups. Die sorgen für den Transport der Einheimischen zur Schule, zum Einkaufen etc. Touristen sollten sich solch ein Gefährt rechtzeitig reservieren, um die Insel zu erkunden. Einer der Fahrer ist Ahmed Al Bukari. Er ist Anwalt, müsste jedoch zur Ausübung seines Berufs die Insel verlassen. Da er mit Frau und drei Kindern aber lieber auf Kamaran bleibt, ist das "Taxifahren" seine einzige Einnahmequelle. Für Besucher ist Ahmed eine gute Informationsquelle, zudem spricht er Englisch.
Vorbei am Mausoleum von Mohammed Al Iraqi und dem grünen "Wadi Paris" geht es ins Dorf. Kamaran bedeutet "zwei Monde", die man sieht, wenn der Vollmond über einer Landzunge steht und sich im Meer spiegelt. Im Dorf Kamaran, etwa fünf Kilometer vom Camp entfernt, geht es höchst geruhsam zu. Die Polizeistation inmitten großer Häuserruinen einst wohlhabender Bewohner liegt strategisch günstig in Sichtweite der Anlegestelle, die regelmäßig Ziel eines Pontonboots mit Wasser vom Festland ist. Dieses wird von Tankwagen und hölzernen Eselskarren mit kleinen Tanks erwartet, die das kostbare Nass zu den Einwohnern bringen. Die Esel finden den Weg ganz von selbst zu den Kunden. Im Schatten der Arkaden haben die drei Polizisten beim Tee das Geschehen im Auge. Am lebhaftesten geht es im Dorf bei Schulbeginn und Schulschluss zu. Kamaran verfügt über Schulen für alle Schulformen bis zum Abitur. Der das Dorf beherrschende Bau ist die Moschee. Salifi, einer der älteren Einwohner, der immer dann zur Stelle ist, wenn Fremde nahen, kennt die Geschichte des schneeweißen Gebäudes mit zahlreichen Kuppeln und dem schönen Minarett. "Die ursprüngliche Moschee ließ der Kommandant der Osmanen im Jahr 1515 bauen. Als König Farouk von Ägypten die Insel im Jahr 1948 besuchte, spendierte er eine Erweiterung der Moschee bis zu ihrer heutigen Größe". Außerhalb der Gebetszeiten ist es möglich, das Innere der Moschee zu erkunden. Teppiche bedecken den gesamten Boden. Weiße Säulen stützen das Dach. Gebetsnische und Kanzel für den Imam beeindrucken durch ihre Schlichtheit. Nur Frauen dürfen das Minarett besteigen, denn es besteht die "Gefahr", sich in den Innenhöfen der umliegenden Häuser aufhaltende Frauen zu sehen, und dieser Anblick ist Männern in der traditionellen islamischen Umgebung untersagt. Vom Minarett bietet sich ein schöner Blick auf die Festung und auf die leer stehenden britischen Anlagen mit dem ehemaligen Gästehaus für Königin Elisabeth II., dem Haus des britischen Militärkommandeurs und den Kasernen für die britischen Soldaten.

Die einzige, nennenswerte Einkommensquelle der Insulaner, die nicht in der Armee oder im Zivildienst beschäftigt sind, ist der Fischfang. Im Fischerdorf Makram stehen einige Häuser und eine kleine Moschee, am Strand sind Palmenhütten und Fischerboote zu sehen. In der Nähe ist ein schönes Schnorchelgebiet mit nahem Riff. Managhi Monaouar (35) stammt, wie Generationen vor ihm, aus Kamaran. "Mein Vater hat im Wald (Mangroven) Holz geschlagen und mit dem Verkauf Geld verdient. Ich bin Fischer geworden und fahre fast jeden Tag – zusammen mit drei oder vier anderen Booten – gegen 18 Uhr hinaus. Am frühen Morgen des folgenden Tages kehren wir zurück. Wir fischen nicht mit Netzen, sondern mit Ködern (er zeigt einen glänzenden Metallfisch mit mehreren Haken, der aus Japan importiert wird), die an einer mehrere Meter langen Leine ausgelegt werden. Wenn Fische anbeißen, werden sie sofort herausgeholt und der Köder wird wieder ausgeworfen. Wir fangen hier viele Fischsorten, am beliebtesten sind Derak, Barrakuda, Gajsch und Hammour. In der Nacht unterhalten wir uns von Boot zu Boot oder singen traditionelle Lieder. Nur bei Vollmond beißt der Gajsch besonders gut an, sonst fischen wir mit sehr starken Lampen". Auf die Frage nach Größe und Art des längsten jemals gefangenen Fisches antwortet er: "Das war ein zwei Meter langer Thunfisch." Und wohin wird der Fang gebracht? "Wir bringen unsere Fänge zum Festland, dort werden sie auf den Fischmärkten in Al-Luhaya, Al-Saleef und Al-Khowba verkauft. Der Fang einer Nacht bringt etwa 15-25.000 Rial" (weniger als 100 Euro).
Das Unternehmen Orascom, ägyptischer Investor und Spezialist für gigantische Hotelneubauten, verursachte einen Freudenschrei bei den Einheimischen und Entsetzensbekundungen bei Umweltschützern, als vor zwei Jahren gigantische Pläne für eine All-Inclusive Fünf-Sterne Hotelhochhausanlage mit Casino bekannt wurden. Diese Pläne sind inzwischen vom Tisch, aber die jemenitische Firma NTMC (National Tobacco and Matches Company) - deren bekanntestes Produkt die Zigarettenmarke "Kamaran" ist - hat bereits damit begonnen, in Makram, an der Nordostseite, ein zur Insel passendes, kleineres Chalet-Touristenprojekt zu bauen. Für einige Inselbewohner ergäben sich dadurch neue Beschäftigungsmöglichkeiten, und es ist daran gedacht, die Entwicklung umweltfreundlich zu gestalten. Von dieser Entwicklung erwartet man auch eine Lösung des Meerwasserentsalzungsanlageproblems. Die nagelneue Anlage funktioniert bisher nicht.
Artikel und Fotos: Barbara Schumacher