"Jemen hat eines der besten Investitionsgesetze."
Interview mit dem Botschafter der Republik Jemen in Berlin, S. E. Prof. Dr. Mohammed Al-Eryani.
Mittwoch, den 31. März 2010
"Arabia felix", glückliches Arabien, nannten die Römer den Jemen wegen seines Reichtums, der aus seiner Lage als Handelsdrehscheibe zwischen Ostafrika, Indien und Mittelmeer herrührte. Weihrauch, Myrrhe, Gewürze und Edelsteine nahmen ihren Weg durch ein Land mit hoch entwickelter Bewässerungstechnik. Heute ist Wassermangel ein großes Problem Jemens. Zudem kam der Staat, den Reisende als das schönste Land auf der arabischen Halbinsel bezeichnen, durch innere Unruhen und als Rekrutierungsgebiet von Terroristen ins Gerede. Dabei bietet das Land mit seiner investorenfreundlichen Gesetzgebung viel touristisches und wirtschaftliches Potenzial. Und zu Deutschland sind die Beziehungen besonders eng und traditionsreich. ARAB FORUM sprach mit dem Botschafter der Republik Jemen in Berlin, S. E. Prof. Dr. Mohammed Al-Eryani.
ARAB FORUM:
Exzellenz, Jemen ist als ein Land der Al Kaida-Trainingscamps in die Schlagzeilen geraten. Was unternimmt Jemen gegen den Terrorismus?
Prof. Dr. Al-Eryani:
Terrorismus ist etwas Neues für Jemen und die gesamte Region, seit er nach dem Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan eingedrungen ist. Die so genannten Mujaheddin strömten in die Region zurück. Terrorismus ist der Feind aller. Er schafft unter den Menschen die extremsten Gedanken. Unter ihm leidet die gesamte internationale Gemeinschaft. Wir sind Partner bei seiner Bekämpfung.
In den letzten Monaten gab es erfolgreiche Operationen gegen Al Kaida. Das öffentliche Bewusstsein für das Problem wächst, indem die Stämme im Jemen die Al Kaida-Akteure auffordern, ihre Gebiete zu verlassen. Einige Terrorosten sind von saudi-arabischem Territorium eingedrungen, weil die Sicherheitslage dort verschärft worden ist. Wir kooperieren mit unseren Nachbarn, indem wir Informationen austauschen und haben gute Erfolge erzielt.
ARAB FORUM: Wie hilfreich war der kürzliche Besuch des deutschen Außenministers Westerwelle für Jemens Kampf gegen den Terrorismus?
Prof. Dr. Al-Eryani: Der Besuch war sehr erfolgreich. Der Minister übermittelte der Regierung Jemens seine Unterstützung. Deutschland ist ein großer Helfer und wichtiger Geberstaat für Jemen. Herr Westerwelle ist der Meinung, dass Entwicklungshilfe Hand in Hand mit der Sicherheitskooperation gehen muss. Man kann nicht in Sicherheitsfragen zusammenarbeiten und die Entwicklungsprobleme beiseite lassen, wenn die Bevölkerung wirtschaftliche Hilfe und Arbeitsplätze braucht. Die internationale Gemeinschaft teilt seine Ansicht, dass das Land durch die Zusammenarbeit in den beiden Bereichen Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung immer stabiler wird.
ARAB FORUM: Außer durch Al Kaida gibt es auch Unruhe im Norden des Landes ebenso wie im Süden. Manche Beobachter bezeichnen Jemen daher als "gescheiterten Staat". Was ist Ihre Meinung zu dieser Behauptung?
Prof. Dr. Al-Eryani: Es gibt bewaffnete Aufstände im Norden und eine separatistische Bewegung im Süden. Der Präsident hat zu einem nationalen Dialog aufgerufen. Die Rebellen im Norden sind aufgefordert worden, ihre Waffen niederzulegen und an diesem Dialog teilzunehmen. Die Kämpfe haben am 12. Februar aufgehört, indem die Aufständischen die sechs von der Regierung gestellten Bedingungen akzeptiert haben. Sie haben zudem ihren Wunsch geäußert, sich im politischen Prozess als Oppositionspartei zu engagieren.
Die Opposition im Süden prüft die Aufforderung zum Dialog. Wir hoffen, dass sie sich in den Prozess einbringt. Wir glauben, dass Dialog der einzige Weg ist, die Unruhen zu lösen. Wir wollen, dass sich alle politischen Kräfte daran beteiligen. Jemen wird kein scheiternder Staat werden. Davon sind wir weit entfernt. Wir erfahren viel Unterstützung von unseren Freunden, die diesen Dialog verstehen, um die Problemlage zu verändern.
ARAB FORUM: Wie sicher ist Jemens Küste?
Prof. Dr. Al-Eryani: Jemens Küste ist über 2.000 km lang. Es ist sehr schwer, diese lange Grenze zu sichern und vor Waffen-, Drogen- und Menschenschmuggel zu schützen. Wir haben bereits 700.000 Immigranten aus verschiedenen instabilen Ländern Ostafrikas. Wir arbeiten dabei mit dem UNHCR zusammen. Manche Einwanderer finden Arbeit im Jemen, andere aber landen in Kriminalität und illegalen Betätigungen, und einige werden sogar zum Beispiel von den Houthi-Rebellen im Norden rekrutiert. Das bedeutet eine Herausforderung für die Sicherheit des Landes.
Die Küstenwache und die Polizei Jemens bekämpfen aktiv den Schmuggel von Drogen, die aus Asien durch Jemen in die Golfstaaten gehen. Wir benötigen aber mehr Hilfe bei der Ausrüstung und der Ausbildung, um die Küstenwache auszubauen.
Ein anderes Thema ist die Piraterie im Golf von Aden. Dies betrifft die Küste Jemens auf verschiedene feindliche Weisen. Unter anderem hat sie eine ernst zu nehmende Auswirkung auf Fischer, die irrtümlich für Piraten gehalten werden, während sie auf offener See zwischen Jemen und Somalia ihrer Arbeit nachgehen. Daher ist es wichtig, die Küste zu schützen und die Piraterie zu verhindern, und zwar für die Fischer, für unsere Sicherheit und die der Region. Wir erfahren Unterstützung von den Regierungen Italiens und der USA.
ARAB FORUM:Ende 2009 feierten Deutschland und Jemen den 40. Jahrestag der Wiederaufnahme ihrer diplomatischen Beziehungen und ihrer Entwicklungszusammenarbeit. Wie bedeutend sind für Jemen die Beziehungen zu Deutschland, welche Themen stehen dabei im Mittelpunkt und welche sollten noch mehr als zuvor beachtet werden?
Prof. Dr. Al-Eryani: Wir haben eine sehr enge und ausgeprägte Beziehung zu Deutschland, die auf gegenseitigem Vertrauen, Verständnis und der Ähnlichkeit der Vereinigungssituation beider Länder aufbaut.
Deutschland ist mit zweijährlicher Hilfe von etwa 80 Millionen Euro Jemens Hauptgeberland. Dieses Geld wird besonders in drei Bereichen investiert: Bildung, Wasserver- und -entsorgung und vor allem im Gesundheitswesen. Wir denken, Deutschland könnte noch mehr solche Unterstützung leisten, besonders für den steigenden Bedarf weiterer Entwicklungsprojekte in Jemen, mit denen Arbeitsplätze geschaffen und in die Infrastruktur investiert wird.
Durch die gemeinsame Erfahrung der Wiedervereinigung ist unsere Beziehung eine ganz besondere. Genauso wie die Ost- und Westdeutschen sind wir ein Volk. Wir haben diese Gemeinsamkeit, verfügen aber nicht über die Mittel, die Deutschland aufgewendet hat, um die Unterschiede im Lebensstandard zu überwinden, die Infrastruktur zu sanieren und für Millionen Menschen Arbeitsplätze zu schaffen. Wir haben auch keine Sonderabgabe für die Wiedervereinigung.
Wir mussten uns auf die Entwicklung des Südens konzentrieren und viele Projekte im Norden hinten anstellen. Es gab große Unterschiede in der Infrastruktur, bei Straßen, Krankenhäusern und Schulen zwischen dem Norden, in dem die Mehrheit der Bevölkerung lebt, und dem Süden. Die dort von den Briten geschaffene Infrastruktur war zusammengebrochen, und dem wenigen, was die Briten gebaut hatten, war während der 23 Jahre kommunistischer Herrschaft nichts hinzugefügt worden. Das Land war in ähnlich schlechtem Zustand wie Ostdeutschland.
ARAB FORUM: Wie erfolgreich ist Jemens Vereinigung bis heute verlaufen und was ist noch zu tun?
Prof. Dr. Al-Eryani:Wer Südjemen vor der Vereinigung kennen gelernt hat, wird die Unterschiede in der Infrastruktur erkennen. Als damaliger Minister für Wasserwirtschaft und Umwelt weiß ich, wie viel Geld in die Wasserver- und -entsorgung im Südjemen investiert worden ist. Ein großer Teil dieses Geldes kam aus Deutschland, aber wir haben auch Kredite der Weltbank erhalten, nicht nur für die Wasserwirtschaft, sondern auch für Straßen, Schulen, Krankenhäuser und andere Entwicklungsprojekte. Dadurch ist mit Milliarden von Dollar in den zwanzig Jahren seit der Vereinigung viel geschaffen worden. Wir haben das Problem der Arbeitslosigkeit, und zwar in ganz Jemen. Es wird durch Trennung nicht gelöst. Es ist ein wirtschaftliches Problem, eine Frage von Investitionen, um genügend Arbeitsplätze für die Menschen zu schaffen.
ARAB FORUM: Jemen hat begonnen, Flüssiggas zu produzieren und zu exportieren. Wie wichtig ist dies für Jemens Wirtschaft?
Prof. Dr. Al-Eryani:Jemen gehört nicht zu den Hauptgasexporteuren. Die Einnahmen aus dem Gasexport werden den Rückgang der Ölausfuhren abdecken, die um 50 Prozent zurückgegangen sind. Früher förderten wir etwa 500.000 Barrels pro Tag. Jetzt sind es etwa 250.000.
Aber Jemen verfügt über ein großes Potenzial der Öl- und Gasexploration, vor allem in den Küstengebieten und auf See. Außerdem gibt es ausgezeichnete Investitionsmöglichkeiten in der Fischereiwirtschaft und in der zollfreien Zone Adens, die nahe zu den ostafrikanischen Märkten liegt, wie beispielsweise Äthiopien und Kenia. Wir haben ein hervorragendes Investitionsgesetz, das Zoll- und Steuerbefreiungen vorsieht. Von der Weltbank ist es als eines der besten Investitionsgesetze eingestuft worden.
ARAB FORUM: Welche Wirtschaftszweige sollten gestärkt werden?
Prof. Dr. Al-Eryani: Wie schon gesagt, gibt es viele Branchen, die ein hervorragendes Investitionspotenzial bieten, wie z. B. die wichtige Fischereiwirtschaft. Wir verfügen über ausgezeichnete Ressourcen, und man kann dort viele Arbeitsplätze schaffen. Auch der Tourismus bietet viele Möglichkeiten. Es gibt viel zu sehen in Sana'a, in Marib, in Shibam. Eine weitere Attraktion ist der Ökotourismus auf der Insel Sokotra. Die verbesserte Sicherheitslage wird immer mehr Touristen anziehen. Ebenso wichtig ist die Energiewirtschaft. Ihr Potenzial ist erst teilweise erschlossen.
ARAB FORUM: Was ist Jemens Zukunftsvision?
Prof. Dr. Al-Eryani: Jegliche Bemühungen zur Lösung der Probleme Jemens sollten sich auf die Bildung konzentrieren. Hat man gut ausgebildete Menschen, findet man auch Arbeit für sie. Wir sind sehr darauf aus, unser Bildungssystem den Anforderungen des Marktes anzupassen. Wichtig ist auch die Berufsbildung, denn sie schafft weitere Arbeitsmöglichkeiten einschließlich des Dienstleistungssektors. Wir haben bereits einige Anstrengungen, z. B. mit der GTZ und anderen Ausbildungseinrichtungen, in diese Richtung unternommen. Wir möchten diese Kooperation ausbauen, denn die Berufsbildung ist ein ganz wichtiger Bereich, in dem Deutschland sehr gut helfen kann. Im Bereich der akademischen Bildung studieren etwa 1000 Studenten in Deutschland mit Regierungsstipendien und eine etwa gleiche Anzahl mit privater Unterstützung.
ARAB FORUM: Exzellenz; wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Gespräch führte Rainer Schubert