Besuchermagnet
Tell Halaf
Staatliche Museen Berlin zeigen Puzzlearbeit aus 27.000 Teilen
Donnerstag, den 31. März 2011

Das hat es bei den Staatlichen Museen Berlin noch nicht gegeben: über 2000 Gäste bei der Eröffnung einer Ausstellung. Was so anziehend wirkte, sind die "Geretteten Götter vom Tell Halaf". Und die Besucherzahlen bestätigen die Attraktion: ca. 53.000 in den ersten drei Wochen. Der zutreffend zugespitzte Name der Ausstellung müsste in seiner Langversion heißen: "Die Götter vom Tell Halaf und ihr Entdecker - ihre Entdek- kung, Zerstörung und Rettung". Alles das erfährt der Besucher in sieben Räumen, doch die Themenfülle ist gut gegliedert und so überschaubar angeordnet, dass die Menge der Objekte, Bilder, Videos und Hörproben nicht überfordert. Auf dem Hügel am Tell-Halaf, im Nordosten des heutigen Syrien, entdeckte Max von Oppenheim im November 1899 den aramäischen Fürstensitz Guzana aus dem 1. vorchristlichen Jahrtausend. Vor gut hundert Jahren, 1910 bis 1913, begann er mit den Ausgrabungen. Zunächst lernt der Besucher Max von Oppenheim kennen, geboren 1860, Sohn aus dem reichen Kölner Bankhaus, Jurist, Diplomat, Orient-Enthusiast, Archäologe, Sammler, ein wenig Dandy und Lebemann und als Patriot ein Kind seiner Zeit. Zum Leidwesen des Vaters übernimmt er nicht die Nachfolge des 1789 gegründeten Bankhauses. Er lernt zwar den irdischen Beruf des Juristen, doch die Faszination der Lektüre von Orientbüchern wird sein Leben prägen, eine "tragische Passion", wie der Vater findet und sich damit abfindet, ja sie sogar fördert. Denn ohne das Vermögen der Familie hätte Max seine Leidenschaft nicht finanzieren können. Beides, erlernten Beruf und Orient-Enthusiasmus, kann er im diplomatischen Dienst am Generalkonsulat in Kairo und an der deutschen Botschaft in Konstantinopel verbinden, was ihm die Möglichkeit zu ausgedehnten Reisen eröffnet. Durch seine jüdische Herkunft bleibt ihm eine Karriere im Auswärtigen Dienst versagt, den er 1910 quittiert. Während des Ersten Weltkrieges gründete er im Berliner Auswärtigen Amt die "Nachrichtenstelle für den Orient", die sich mit nachrichtendienstlichen und propagandistischen Aufgaben im britischen Teil des Osmanischen Reiches befasste. Hier zeigte sich der Patriot, ganz im Sinne des Zeitgeistes und der gesellschaftlichen Schicht, der Oppenheim entstammte.
In Arabien suchte Oppenheim den Kontakt mit den Einheimischen, im Gegensatz zu seinen diplomatischen Kollegen, und es waren Beduinen, die ihn zum Hügel am Tell Halaf führten. Im November 1899 entdeckte er den aramäischen Fürstensitz und leitete von 1910 bis 1913 dessen Ausgrabungen, die er 1927 und 1929 fortsetzte. Akribisch arbeitete der Amateur-Archäologe mit Vermessungen und Peilungen und vor allem mit dem neuen Mittel der Fotografie, was sich für uns heute als großer Segen erweisen sollte. Doch nicht nur mit den Ausgrabungen hat sich Max von Oppenheim selbst ein Denkmal gesetzt, er erforschte auch die Lebensgewohnheiten der Beduinen. Die Tell Halaf-Ausstellungen bietet daher nicht nur etwas für das Auge, sondern auch für das Ohr: originale Grammophon-Aufnahmen von Beduinengesängen können gehört werden Die Funde vom Tell Halaf konnten aus finanziellen Gründen nicht, wie es sich Oppenheim gewünscht hatte, auf der Berliner Museumsinsel ausgestellt werden. Stattdessen nahm er die Dinge selbst in die Hand und eröffnete am 15. Juli 1930, seinem 70. Geburtstag, in der ehemaligen Fabrikhalle der Eisengießerei Freund in der Charlottenburger Franklinstraße 6 sein eigenes Tell-Halaf- Museum, "eines der merkwürdigsten Museen", wie es damals hieß, dem sich ein weiterer Raum der Ausstellung widmet. In alten Filmaufnahmen erklärt der Museumsdirektor Oppenheim seine Sammlung.
Im Bombenhagel des 23. November 1943 verbrannten alle Ausstellungsstücke aus Kalkstein und die Palastrekonstruktion aus Gips. Die erhitzten Basalt-Bildwerke zersprangen durch Löschwasser in zahllose Fragmente. Getreu seinem Lebensmotto "Kopf hoch! Mut hoch! Und Humor hoch!" gab Oppenheim nicht auf und sorgte dafür, dass die Trümmerteile noch während des Krieges geborgen und im Kel ler des Pergamonmuseums gelagert wurden, denn er hoffte, dass "die Stücke … später wieder einmal zusammengefügt werden können." Nächster Raum: die Puzzlearbeit. 1993 begann man mit der Sichtung und 2001 in Berlin- Friedrichshagen mit der Zusammensetzung der Fragmente einer Sammlung, die noch 1954 das damalige Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen für "als Ganzes zugrunde gegangen" erklärte. Eine Station weiter staunt der Besucher in spärlichem, mystischem Licht über das Ergebnis, das aus ca. 27.000 Einzelheiten wieder zusammengesetzt worden ist: die Götter vom Tell Halaf sind gerettet, Oppenheims Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Allein der Skorpionvogelmann ist aus 1000 Einzelteilen neu erstanden. Im Palast des Fürsten Kapara sich wähnend, lernen wir den aramäischen Fürstensitz Guzana kennen, Ziel des archäologischen Strebens Oppenheims. Als der Orient-Enthusiast 1946 im bayerischen Landshut begraben wurde, erwiesen ihm auch die ortsansässigen Muslime die letzte Ehre. Nahezu alles hatte er verloren. Nicht verloren gegangen ist u. a. seine Fotosammlung. Sie ist Gegenstand der parallel laufenden Ausstellung " Von Kairo zum Tell-Halaf" im Berliner Museum für Fotografie. Noch ausführlicher als das Bildmaterial der Tell Halaf-Ausstellung zeigt sie das Leben Oppenheims, seine Ausgrabungsarbeiten, sein Museum, seine wissenschaftliche Akribie, vor allem aber auch das Leben im damaligen Orient, abgerundet durch zeitgenössische Fotografien von Jerusalem, Damaskus, Aleppo und vielen weiteren Städten des osmanischen Reiches, aufgenommen von anderen Fotografen.
Der Betrachter beginnt die Verklärung des Nahen Ostens zur Welt aus 1001 Nacht zu begreifen, mit ihrer Rückständigkeit und Verwurzelung in Traditionen, verglichen mit dem Europa um 1900. Zugleich wird aber auch die Bedeutung des damals noch jungen Mediums Fotografie verständlich, nämlich wie sich Oppenheim ihrer gezielt und bewusst bediente, um seine Funde systematisch zu registrieren und zu katalogisieren, seine Sammlung wissenschaftlich zu fundieren. Diesen Vorteil können wir bis heute genießen, denn ohne die Originalabzüge der Oppenheimschen Fotos würden wir heute die "Geretteten Götter" so nicht sehen können. Die Fotos seien für die Wiedererkennung und -herstellung der Oberflächen der Skulpturen "unverzichtbar" gewesen, wie die Kustodin der Ausstellung, Dr. Nadja Cholidis, ARAB FORUM sagte. Die Wiedererkennung der Oberflächen auf den alten Fotos habe die Arbeit erheblich zu beschleunigen geholfen. Vor dem Verlassen der Tell Halaf-Ausstellungen empfiehlt sich ein Blick in das Begleitbuch, der nach kurzem Blättern vermutlich zur Kaufentscheidung führt. Nicht nur das Gesehene (Oppenheims Arbeit, sein Museum, die Rekonstruktion der zerstörten Funde) wird in zahlreich bebilderten Beiträgen vertieft, die gut die Balance zwischen profund und kurz gefasst finden. Der Leser erfährt u. a. noch mehr über Max von Oppenheim selbst und seine Epoche, die ihn geprägt hat, über die Geschichte von Guzana und die zukünftige Präsentation der Tell Halaf-Kultur. Wer sich ausschließlich mit seiner Person beschäftigen möchte, für den wird ausschließlich in den Ausstellungen die Restauflage des Buches "Faszination Orient" bereitgehalten, das das Leben Max von Oppenheims in seiner Vielfalt aufgliedert: der Diplomat, der Beduinenforscher, der Archäologe, der Sammler.
Rainer Schubert
Fotos: Staatliche Museen zu Berlin, Olaf M. Teßmer